Hey DJ, gib Gas! Das Aufmerksamkeits-Tanzflächen-Defizit-SyndromZehn Minuten nachdem meine Area öffnete, höre ich eine Stimme aus dem Hintergrund "Hey DJ, gib Gas".

Ich ignoriere den Spruch eines Gasts. Schließlich weiß ich selbst am besten wann ich Gas geben muss.

Trotzdem frage ich mich seit Jahren woher die zunehmende Ungeduld der Gäste kommt.

Hat sich unsere Aufmerksamkeitsspanne derart verändert, dass viele nur noch nach der sofortigen Belohnung lechzen? Genießt nur noch eine schweigende Minderheit den Flow einer langen Partynacht?

Gäste im Club ankommen lassen

Neulich habe ich bei einer Küchenparty eines Hotels aufgelegt. Die Tische waren nett eingedeckt und die Getränke kalt gestellt.

Stundenlang bereiteten mehrere Köche die Zutaten für ein fünfgängiges Menü vor. Schließlich sollten die Gäste der Küchenparty selbst kochen, ohne vorher das Gemüse schnibbeln zu müssen.

Der Küchenchef begrüßte die ankommenden Gäste mit einem Aperitiv. Danach hielt er sich dezent im Hintergrund und wartete 20 Minuten. Ich musste erst etwas zuschauen, bis ich seine Geduld verstand. Er ließ die Gäste ankommen.

Gäste ankommen lassen, vom Sternekoch abgeschaut

Natürlich hätte er die Gäste sofort alle in die Küche schicken können, damit sie unter fachkundiger Anleitung den ersten Gang kochen und genießen können.

Das hätte jedoch die Atmosphäre zunichte gemacht. Stattdessen ließ er die Gäste ankommen. Sie durften sich unterhalten, den Aperitiv genießen und sich in der Profi-Küche eines Hotels umsehen.

Aufs DJing übertragen heißt das, die Gäste erst einmal im Club ankommen zu lassen. Ich falle nicht gleich mit der Türe ins Haus und brettere die besten Lieder schon zu Beginn über die Tanzfläche.

Ich bin hier! Jetzt muss die Party starten! Sofort!

Jeder Partygast wartet zunächst an der Kasse, gibt vielleicht die Jacke an der Garderobe ab, bestellt das erste Getränk an der Bar. Während dieser Zeit wirkt die Musik im Hintergrund. Du ahnst bereits, ob du dich hier wohlfühlen wirst oder nicht.

So war ich früher unterwegs. Und ich habe diese unterschiedlichen Phasen genossen: Ankommen, Getränk holen, umsehen und der Musik lauschen.

Nach meinem Gefühl schätzen immer weniger Gäste die Qualität des Vorprogramms, während sich der Club füllt.

Hey DJ, gib Gas

Kaum sind die ersten Leute da, haben den ersten Vodka-Bull in der Hand, kommen sie um 23 Uhr angerannt, dass ich jetzt unbedingt den "Trage hier den aktuellen Top-Hit ein" spielen muss. Dann würde sich die Tanzfläche bestimmt gleich füllen.

Das nenne ich Aufmerksamkeits-Tanzflächen-Defizit-Syndrom.

Bei großen Veranstaltungen wie Fasching oder Silvester lautet das Motto sowieso eher Druckbetankung mit Alkohol. Diese Leute kommen, mehr oder weniger angetrunken an und bestellen gleich den 3-Liter-Flaschen-Service.

Nach einer halben Stunde muss die Party zünden, weil sie mit dem Alkoholpegel den Peak erreicht haben. Eine Stunde später leiden die ersten Leute dann unter alkoholbedingten Ausfallerscheinungen.

Eine merkwürdige Entwicklung

Wenn ich alles immer sofort haben kann und dafür belohnt werde, dann ist die Entwicklung nur logisch dieses Verhalten auch in das Nachtleben zu übertragen.

Klick, Belohnung
Diesem Prinzip folgen Online-Spiele, Facebook und das Unterschichten-Fernsehen. Im Gehirn etablieren sich Strukturen, die an Drogenabhängige erinnern. Das haben Wissenschaftler festgestellt.

Geduld ist eine Tugend

Auf eine Forderung wie "Hey DJ, gib Gas" verteile ich die Belohnung nicht sofort. Garantiert werde ich nicht nachgeben, weil ich weiß, dass eine wohl dosierte Party besser funktioniert.

Als DJ werde ich sicherlich auf diese Entwicklung reagieren müssen. Ich weiß nur noch nicht wie.

Genießer entdeckten Slow-Food. Vielleicht sollten wir so etwas starten wie eine Slow-Nightlife-Bewegung: Essen gehen in einem angesagten Restaurant, Cocktail trinken in einer netten Bar und dann sind wir bereit für den Club.

Wie reagierst du, wenn dich jemand mit "Hey DJ, gib Gas" herausfordert? Schreibe deine Idee bitte als Kommentar.

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12 Kommentare zu „Hey DJ, gib Gas! Das Aufmerksamkeits-Tanzflächen-Defizit-Syndrom“

  1. Meinen Kommentar wirst Du zu dem Thema sicherlich löschen, aber er gibt meiner Meinung einfach nur die Realität in Deutschland wieder..: -> Ich weiß nicht ob es am Analverkehr liegt, aber es werden einfach immer mehr Arschlöcher in Deutschland geboren. Daran liegt es!
    Eine Null-Bock Generation, meist schon in 2. Generation harzend, im Club das größte Maul aufreißend, weil man sonst nichts zu melden hat; ohne Wertschätzung und Achtung vor der Arbeit Anderer… einfach Neider; das ist die Ursache!
    Ich selber habe dieses Problem nicht, da ich aus Hobby nur privat auflege.. und auch nur wenn ich Lust auf die Party UND die Leute habe.

  2. ich kenne das gut und sogar exact mit diesem wortlaut „hey dj, gib gas“. ich bin dann immer erstmal irritiert und werde etwas unsicher, fühle mich abgelenkt. ich glaube aber zu wissen das einer der gründe für derartige sprüche definitiv der alkohol ist. die leute kommen oft (leider) bereits total besoffen zur party, waren oftmals zuvor bereits auf einer anderen party und ja, für alles was oben nachzulesen ist gebe ich dir definitiv recht. ebenso hat dj ronny ebenfalls absolut recht. die zeiten haben sich leider geändert. es ist nicht mehr so wie es in den 80ern/90ern mal war. …leider … und schade!

  3. [quote name=“Dj Ronny“]Meinen Kommentar wirst Du zu dem Thema sicherlich löschen …[/quote]
    Hallo Ronny,
    der Kontext entscheidet. Zensieren will ich die Kommentare überhaupt nicht. In letzter Zeit hatten sich jedoch einige Kollegen im Ton vergriffen. Deshalb achte ich darauf diese Webseite kinderfreundlich zu halten.

    An Neid als Ursache hatte ich noch gar nicht gedacht, ist ein interessanter Ansatz.

  4. [quote name=“Milli Milhouse“] … ich bin dann immer erstmal irritiert und werde etwas unsicher, fühle mich abgelenkt. ….[/quote]
    Hallo Milli,
    diese Unsicherheit kenne ich auch. Es reicht ja nicht, dass wir selbst dauernd überlegen, ob alles stimmt. Nein, dann bekomme ich auch noch eine Breitseite.

    Alkohol gab es früher doch auch schon. Ist es der härtere Alkohol, gemixt mit süßen Softdrinks? Oder müssen die Türsteher jetzt öfter ein Auge zudrücken, um die Clubs voll zu bekommen?

    Als zweiten Faktor hätten wir dann Alkohol, zusätzlich zum Neidfaktor.

  5. [quote name=“DJ Rewerb“]
    Als zweiten Faktor hätten wir dann Alkohol, zusätzlich zum Neidfaktor.[/quote]
    da fällt mir noch ein dritter wichtiger faktor ein, der oft vorkommt. je nach art des events bereitet man sich sein set vorher akribisch vor (playlist), um den gästen in dem 1-2 stunden slot wo man dran ist eine musikalische reise zu ermöglichen. man beginnt, steigert sich, höhepunkt, wieder ruhiger usw. – alles in stundenlanger arbeit zuvor genau festgelegt. in diesem fall richtet man sich nicht nach dem puplikum, sondern das puplikum nach dem dj. viele gäste kennen sowas gar nicht und auch musikwünsche haben hier keine chance. – so wird es aber fast auf jedem techno event praktiziert. ist eine völlig andere welt als auf hochzeiten oder geburtstagen zu spielen.

  6. Hallo,
    eine gesellschaftliche Veränderung ist durchaus denkbar. Zumindestens habe ich das Gefühl das mehr „ich-bezogene“ Menschen durch die Gegend laufen. Und die meinen eben auch das die Party startet sobald sie den Raum betreten. Doch das habt ihr bereits gut beschrieben 🙂

    Für uns ist es interessant inwiefern dies uns beeinflusst. Positiv wie negativ.
    Da ich selbst bisher nur auf kleineren Veranstaltungen aufgelegt habe (~150 Partygäste) kann ich nicht beschreiben wie man bei größeren Veranstaltungen reagieren sollte. In der Theorie ist es wohl sinnvoll das Warmup weiterzuführen und kurzfristig vermehrt „Appetizer“ hineinzumischen um die betroffenen Partygäste zu besänftigen. In der Praxis nimmt man wohl derartige Kommentare hingegen zu schnell ernst, zumindestens geht es mir so als perfektionist. Doch jeden kann man leider nicht wunschlos glücklich machen.

    Euch danke ich das ihr mir zeigt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. #dickesFell

  7. Hallo Thorsten, als erstes versuche ich der Person einfach den „normalen“ Party-Flow zu erklären, was meistens schon hilft. Ansonsten hatte ich dieses Phänomen ebenfalls schon 2x wo erklären nicht geholfen hat. Bei mir war beide male der Alkoholpegel eindeutig die Ursache. Einmal bin ich darauf eingegangen, da nahezu alle Gäste inkl. der Gastgeberin schon kurz vor voll waren. Da habe ich mich entschieden Gas zu geben und das Ergebnis war – dass es auch sofort los ging und alle getanzt haben. Dafür war diese Party dann auch schnell fertig, da fast alle 1-2 Stunden später nicht mehr richtig stehen konnten (ja das war extrem). Hätte ich das nicht gemacht, wäre aller voraussicht nach gar keine Party entstanden, da sie schon alle vor Beginn sich abgeschossen hätten. Das andere mal habe ich mich dagegen entschieden, da hat mich der Trauzeuge ständig angemacht, ich soll mal nicht so einschläfernde Musik spielen. Die Party entwickelte sich gut, allerdings wich mir der Trauzeuge nicht mehr von der Seite – was dann den Abend für mich eigentlich versaut hat. Abschliessend würde ich sagen: Einfach versuchen die Gesamtsituation so gut wie möglich einzuschätzen, um dann bezüglich „Gas geben“ die richtige Entscheidung zu treffen. Wie beim Autofahren, habe ich da keine bestimmte „Gaspedalstellung“, sondern passe das dem „Verkehr“ an 🙂

  8. Hallo auch,
    Ich war am Freitag auf einer Privaten 60’er Geburtagsfeier,ca.40 geladene Gäste.Und ich muss sagen,das macht Spass,Keiner stellte dumme Fragen,oder Komentare,ein Paar Musikwünsche waren Ok.Langsam angefangen,nach dem Essen so langsam Losgelegt,70’er,und wie Stolz kann man sein,wenn einige Daumen hoch von der Tanzfläche zu Dir kommen.Die meisten Jüngeren waren an der Bar und so um 22:30 Pralle. die Älteren haben bis 1:30 die Tanzfläche gefüllt.Weiss auch net was die heutige Jugend im Kopf hat.

  9. Hallo zusammen
    Ich gehe da sehr eigen vor. Was eigentlich in der Vergangenheit recht gut geklappt hat. Zuerst mal leise lounge Musik 10-15 min dabei beobachte ich das Publikum wie sind sie drauf, dann die B seiten ca 30min unterschiedliche Stilrichtungen sehen auf was sprechen sie an. Fas gibt mir Zeit eine Zusammenstelung. Dann ein Titel Track Jetzt gehts los. Ich Persönlich gebe den Gästen 5 Tracks um die Tanzfläche zu füllen. 80% erfolg. Sind sie auf der Tanzflöche dann stimmt der Abend.

  10. Je älter desto bescheuert.
    Neulich im Hofgut: Nach ihrem Auftritt hat die Stimmungsband während des Abbaues noch von der Bühne aus mit einem Laptop „Hintergrund-Musik“ gespielt, wir alle hofften, dass sich die letzten Gäste bald trollen würden. Eine Frau kam zu mir an den FOH: „Lauter, Lauuuuuter, Laaaaaaaauuuuter!!!“ Nagut ich hab ein Dezibel dazu gegegebn. Sie wars zufrieden. Zwei Minuten später ein alter Sack ob ich „Iggy Pop“ spielen kann. Ich sagte, die Mukke kommt von der Bühne und zeigte auf den Typ der da hinter seinem Laptop stand. Er trollte sich. Erwachsene sind manchmal schlimmer wie Kinder. Vor allem un-cooler.

  11. meine Erfahrungen sind zu diesem Punkt sind:

    Die Aufmerksamkeitsspanne wird kürzer bei den Leuten, wie schon beschrieben FACEBOOK, Instagramm und andere targen dazu bei. In Diskotheken/Clubs laufen keine 5-7 min Minutentracks mehr. Niemand möchte sich mehr die Zeit dafür aktuell nehmen, man könnte ja etwas verpassen. Extendet- oder Club Mixe sind nur noch 3:45min lang. Breaks und Melodische Mittelpunkte laufen Maximal 32 Takte, bestes Bsp EDM-Musik oder andre Produktionen. Bei 64 Takten Bassrhythmus am Stück würde ich schon mal fragend aus dem Publikum angeguckt. Hier hilft nur eins, sich bei diesen Sachen zum Großteil anpassen und mitmachen (Party Allgemein, Hochzeiten, Geburtstagsausen), als Club-Dj kann man gerne seinem Stiefel treu bleiben.

    Man darf auch nicht vergessen, wir die Kids der 80er/90er sind weggegangen um etwas NEUES zu hören, um Party zu erleben und aus zugehen.

    Heute ist der Vorteil klar, die Kids kennen überwiegend die Tracks schon alle die im Club bzw. auf Disko laufen: bei Spotify endeckt (zum Erscheinungsdatum! oder vorab) oder mit Shazam getagt und in die eigene Spotifyliste gesetzt, der Reiz neue Musik außerhalb der eigenen 4-Wände zu erleben wird geringer, man muss nicht mehr vor die Tür gehen. Maximal einmal im Jahr zum Festival oder Konzert und dann wird richtig auf Kacke gehauen, Tickets gehen ja ab 130 Euro aufwärts los. Sorry etwas abgeschweift…

    bezüglich „gib mal gas“, ist es aktuell so, dass nur „Höhepunkte“ gewünscht werden, ich passe mich dem Meist mit meiner Musik an.

    beste Grüße

  12. Hej Leute, der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Geänderten Gepflogenheiten muss man professionell begegnen! Vor 20 Jahren bin ich durch meine CD Koffer gejagt, heute hält der Gast dir sein Smartphone unter die Nase und theoretisch kannst du den Titel gleich streamen… Es gibt schlimmeres als die heutige Situation! Und hej, wir werden gut dafür bezahlt. Zum Thema Dj, gib mal Gas: Da könnte ich persönlich, ohne überheblich zu sein, zwei Abende Vollgas geben ohne einen Titel zu wiederholen. Zumindest wenn als Genre „cross over“ geboten ist. Dass unser Job nicht ganz einfach ist, das hat nie jemand behauptet. Aber sich anpassen, sich neuen Herausforderungen stellen, das sollte gerade für unsere Zunft selbstverständlich sein. Positiv denken meine Damen und Herren!

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