Warum wird Musik immer kürzer?Als ich den neuesten Hit von Felix Jaehn bei iTunes gekauft habe, wunderte ich mich über die extrem kurze Spielzeit von 2:40 Minuten.

Ist das nur eine Ausnahme oder werden Chart-Lieder wirklich immer kürzer?

Schon seit einiger Zeit beobachte ich, dass die Single- oder Radio-Versionen unter die 3-Minuten-Grenze rutschen. Nach deren Veröffentlichung dauert es mehrere Wochen und Monate bis längere Maxi-Versionen erscheinen.

Und selbst diese Maxi-Fassungen haben selten eine Spielzeit über 4 Minuten, wie zum Beispiel „Ofenbach – Be Mine (Extended Mix)“ mit 4:03 Minuten.

Ist das jetzt ein Trick der Plattenfirmen, damit ich die Lieder zweimal kaufen muss? Oder sind die Remixer so ausgelastet, dass sie bei der Masse an Neuveröffentlichungen nicht mehr hinterherkommen?

Extended-Mix von Ofenbach - Be Mine mit 4:03 Minuten

Aufmerksamkeitsspanne: Nach 60 Sekunden ist die Luft draußen

Ich vermute, die kürzer werdenden Spielzeiten hängen mit der kürzeren Aufmerksamkeitsspanne des Publikums zusammen.

Bei Teenagern fällt mir seit Jahren auf, dass sie ein Lied super finden, aber schon nach einer Minute verlieren sie das Interesse am laufenden Titel.

Das kann der absolut größte Megaknaller sein. Viel mehr als 60 Sekunden halten sie nicht durch. Danach ist einfach die Luft draußen. Sofort müsste ich den nächsten Knaller spielen.

Das Phänomen habe ich hier als ATDS, Aufmerksamkeits-Tanzflächen-Defizit-Syndrom bezeichnet.

Bei älterem Publikum, jenseits der 40 Jahre, kann ich dagegen die 7-Minuten Maxi-Versionen auch mal durchlaufen lassen. Trotzdem tanzen sie weiter und freuen sich sogar über den zweiten Break des Liedes. Diese Pause ist häufig sogar länger als der erste Break.

Vom 3:30 Radio-Edit bis zur 8-Minuten Maxi-Version

Für Radiosender wurden kürzere Single-Edits erfunden. Ein typischer Popsong darf danach maximal 3:30 Minuten lang sein. Diese Struktur kenne ich seit Jahrzehnten, fast schon als Gesetz. Längere Lieder haben nahezu keine Chance in die Playlisten eines Radiosenders aufgenommen zu werden.

Erst die Maxi-Single ermöglichte längere Versionen auf Vinyl-Schallplatten. Diese Club-Mixe sind mit einem längeren Intro und Outro aufgebaut. Damit haben DJs das notwendige Musikbett, um die gemixten Übergänge auf 32 oder 64 Bars auszudehnen.

Kein Zeit für lange Intros

Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Heute muss jedes Lied sofort knallen. Nach wenigen Sekunden wird der erste Hands-Up-Break eingebaut, um bloß keine Langeweile aufkommen zu lassen.

Wir verlieren die Geduld, um uns von einem langsam Aufbau der Musik treiben zu lassen.

Meinen subjektiven Eindruck bestätigt der Musikwissenschaftler Hubert Léveillé Gauvin von der Ohio State University. Für seine Studie „Drawing listener attention in popular music“ (engl. Wie zieht populäre Musik die Aufmerksamkeit auf sich?) untersuchte er die Top-10-Singles der Jahre 1986 bis 2015. Laut seiner Auswertung verkürzten sich die Intros von durchschnittlich 20 Sekunden auf fünf Sekunden.

Gauvin führt das auf Streamingdienste zurück, die jedem die Möglichkeit geben sofort zum nächsten Titel zu springen. Wobei diese technische Entwicklung bereits mit CD-Playern eingeführt wurde.

Erziehen uns Streamingdienste, Smartphones, WhatsApp und Facebook also zu Konsumenten, die süchtig nach sofortiger Belohnung sind?

„Gefällt mir nicht“, also klicke ich auf den Button „nächstes Lied“.

Wobei mich das wiederum daran erinnert, wie ich selbst Musik kaufe. Da entscheide ich ebenfalls in wenigen Sekunden, ob ich mir den Titel überhaupt weiter anhören soll. Wenn ein Lied diesen ersten Schnelltest übersteht, springe ich zum ersten Break und dann in die Mitte.

Wie gehst du mit der verkürzten Lieddauer um? Schreibe deine Beobachtung bitte als Kommentar.

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12 Kommentare zu „Warum wird Musik immer kürzer?“

  1. Hallo, ich sehe es genauso: Ungeduld,Reiz-Überflutung und SchnellWenigkeit nehmen den Genuss eines wachsenden Aufbaus eines Titels.
    Wir sollen direkt zum Refrain und dann neues Lied. Maximum Input bei Minimum Zeit.

    LG Franz

  2. das musik immer kürzer wird kann ich nicht bestätigen. das mag vielleicht in den „charts“ bzw. bei der im radio rauf und runter gespielten musik so sein, aber zum einen höre ich kein „radio“, habe null ahnung von „pop-musik“ rückwirkend auf die letzten 20 jahre und bewege mich ausschliesslich im bereich elektronische musik (techno & co.) bzw. musik die ausschliesslich in clubs gespielt wird. und hier ist kaum ein track kürzer als 5 minuten, der durchschnitt liegt bei 6-7 minuten, es gibt aber auch tracks bis zu 9 oder 10 minuten länge. wenn ich auf der suche nach tracks bin beachte ich meist nichts was unter 6 minuten liegt, denn zum mixen sind lange intros/outtros sehr vorteilhaft und gewünscht, es lassen sich viele tolle loops setzen, es ist einfach mehr gesamtkapazität gegeben. – bezüglich tracksuche setze ich meist am ende des ersten drittels zuerst an, springe dann zum anfang des zweiten drittels um nach jeweils 2-3 sekunden zu entscheiden ob mir der track zusagt oder nicht

  3. Das Phänomen, das sowohl die Songs als auch Extended-Versionen immer kürzer werden ist mir aufgefallen, das ich mir immer häufiger Intros per 4-Bar / 8 Bar Loop zusammenbasteln muss. Und ja, auch mit der „Aufmerksamkeits-Spanne“ hast du recht.

    Hatte ich früher einen „Flow“ über 5-8 Titeln drin ist heute oft schon nach 2-3 Titeln eines Blocks (Genre oder gemeinsame, rhythmische Elemente) die Luft raus.

    Was mir auch extrem seit Ende 2015 auffällt, auch die Musik selbst hat viel an dem von dir beschriebenen Aufbau, das sich ein Titel in einer Art Dramaturgie auf- und wieder abbaut verloren.

    Ganz speziell die ganzen „Future“ Genres sind auf dem Prinzip „Hauptsache, der Drop muss knallen“ aufgebaut. Eine wahnsinnige Effekthascherei, die etliche DJ´s und Producer wie Marchmello, Skrillex, Jauz etc. in eine zweifelhafte Perfektion getrieben haben.

    Sich mal stundenlang vom Fruchtmus treiben lassen, was ich ja als „EDM“ im Sinne von Tanzmusik sehe ist selbst bei einigen DJ´s der alten Schule zum Fremdwort geworden.

    Ja, Hauptsache es knallt und je spektakulärer die Drops werden (samt Feuerwerk und Selbstdarstellung) desto „besser“.

    Wohl auch ein Effekt der mittlerweile wirklich kurzen Lebendauer eines Songs, sowohl in den Charts als auch beim hören.

  4. Kann es sein, das Kommentare hier manchmal „einfach verschwinden“?

    Es ist bereits ein zweites Mal, das ich was dazu schreibe, der Kommentar dann aber nicht mehr da ist.

  5. Also mir ist das zum ersten Mal 2009 in Mallorca aufgefallen, dass jedes Lied nur 1 Minute lief. Irgendwie schwappte dieser Trend dann auch auf deutsche Clubs über.

    Ist natürlich mehr als kurz, man hat sich gerade auf den Song eingestellt und meistens beim 2. Teil schwenkt der DJ dann einfach auf irgendwas Neues um.

    Ich finde Intros mit 64 Bars aber mittlerweile auch überflüssig, da kaum noch ein DJ wirklich so lange Übergänge benutzt.

    Unterwegs will ich auch eher Radioversionen hören die „gleich“ anfangen. Aber alles unter 3 Minuten ist dann doch irgendwie bisschen kurz.

    Der Kürzungswahn ist mittlerweile aber auch schon bei z.B. Drum&Bass angekommen, ich denke es wird dank den ganzen ADHS-Leuten auch kein Revival von Maxis mehr stattfinden 🙁

  6. [quote name=“Milli Milhouse“]das musik immer kürzer wird kann ich nicht bestätigen. … und bewege mich ausschliesslich im bereich elektronische musik (techno & co.) bzw. musik die ausschliesslich in clubs gespielt wird. und hier ist kaum ein track kürzer als 5 minuten, der durchschnitt liegt bei 6-7 minuten, es gibt aber auch tracks bis zu 9 oder 10 minuten länge. wenn ich auf der suche nach tracks bin beachte ich meist nichts was unter 6 minuten liegt…[/quote]
    Hallo Milli,

    vielleicht ist das bei Techno noch mal etwas anders.

    Mir fällt auch im House-Bereich auf, also abseits des Mainstream „Tropical House“, dass ich häufiger Lieder mit 5 Minuten kaufe.

    Früher war jede Club-Version mindestens 7:30 Minuten lang, mit einem 1:34 Intro.

  7. [quote name=“Gil“]Kann es sein, das Kommentare hier manchmal „einfach verschwinden“?

    Es ist bereits ein zweites Mal, das ich was dazu schreibe, der Kommentar dann aber nicht mehr da ist.[/quote]
    Hallo Gil,
    ja, das mache ich aber nicht absichtlich. Soweit ich den Fehler nachvollziehen kann, erscheinen die Kommentare je nach Link, über den du auf die Seite wechselst.

    Und dann spukt auch noch ein Cacheing-Plugin in die Ergebnisse. Spätestens nach ein paar Stunden sollte dein Kommentar aber dann sichtbar sein.

  8. [quote name=“NBG“]Also mir ist das zum ersten Mal 2009 in Mallorca aufgefallen, dass jedes Lied nur 1 Minute lief. Irgendwie schwappte dieser Trend dann auch auf deutsche Clubs über.

    Ich finde Intros mit 64 Bars aber mittlerweile auch überflüssig, da kaum noch ein DJ wirklich so lange Übergänge benutzt.

    Der Kürzungswahn ist mittlerweile aber auch schon bei z.B. Drum&Bass angekommen, ich denke es wird dank den ganzen ADHS-Leuten auch kein Revival von Maxis mehr stattfinden :([/quote]
    Hallo NBG,
    dann beobachtest du diesen Trend ja schon viel länger als ich.
    Mit einer Minute Spielzeit hätte ich das sogar in die Mashup-Kategorie gepackt.
    Vielleicht sind die kürzeren Versionen auch eine Folge davon. Wobei ich mich immer gefragt habe, wieso ich so viele Hits in kurzer Zeit herausballern sollte.
    Bei 3 Stunden Primetime brauchst du schließlich 180 Top-Titel. Und damit würde ich dir die Musik für eine ganze Nacht zusammenstellen können.

    Für lange und zelebrierte Übergänge bekomme ich im Houseschuh Podcast häufig viel Lob. Manche Hörer finden einen 2-Minuten-Übergang zum Glück noch hörenswert.

    Sehr interessant, dass auch Drum&Bass-Songs kürzer werden.

    Ich hoffe immer noch darauf, dass sich der aktuelle Trend irgendwann wieder ins Gegenteil verkehrt. Dann erfindet jemand die Super-Longplayer-WAVs mit 8 GB und mehr 😉

  9. [quote name=“EH FunnyX“]Hallo, ich sehe es genauso: Ungeduld,Reiz-Überflutung und SchnellWenigkeit nehmen den Genuss eines wachsenden Aufbaus eines Titels.
    Wir sollen direkt zum Refrain und dann neues Lied. Maximum Input bei Minimum Zeit. [/quote]
    Hallo Franz,
    deine Beschreibung mit Maximum-Input erinnert mich an die Druck-Betankung mit Vodka-Bull, die manche Gäste betreiben.
    So gesehen, passt auch die Druck-Betankung mit Musik ins Bild.

    Oder der Rest der Menschheit hat sich einfach von uns DJs abgeschaut, wie du schnell eine Liste mit 50 Lieder durchhören kannst. Da möchte ich schließlich noch schneller sein, um noch weitere 50 Lieder in einer halben Stunde screenen zu können.

  10. Ich war letztes Jahr auf Ibiza und habe mir dort in den verschiedenen großen Clubs die größen der Dj-Szene angeguckt. Da habe ich schon festgestellt, dass die Übergänge nicht mehr fließend waren sonder zu fast jeden Break ein Cut ins nächste Lied gemacht wo es knallt. Man hatte das Gefühl das die ganze Zeit nur Gas gegeben wurde aber auf Dauer war es einfach nur noch anstrengend. Genau das gleiche beobachte ich wieder bei den Aftermovies vom Tomorrowland. Vielleicht täusche ich mich da aber ich würde mich über ein Feedback freuen.

  11. Vielleicht passt es nicht ganz in das Thema … aber am Wochenende habe ich bei einer Party mit einer älteren Zielgruppe aufgelegt. Besonders gefragt waren hier die 60er (und drum herum). Da tauchen folgende Zeiten auf: The Letter (1:53), Yummy Yummy Yummy (2:20), Summer in the City (2:39), Pinball Wizard (3:02)

  12. [quote name=“Harald“]… Besonders gefragt waren hier die 60er (und drum herum). Da tauchen folgende Zeiten auf: The Letter (1:53), Yummy Yummy Yummy (2:20), Summer in the City (2:39), Pinball Wizard (3:02)[/quote]
    Hallo Harald,
    doch, passt perfekt zum Thema. Vielleicht sollte die Überschrift besser lauten: „Warum war Musik 50 Jahre lang länger?“
    In den 60ern hätte ich die kürzeren Spielzeiten auf Tonträger wie 7″-Singles geschoben. Aber darauf würde theoretisch mehr Musik passen.

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